Die Grünen: Am Krankenbett der Ökopartei

Diffuse politische Positionen und der rechte Mainstream haben die Grünen in die Defensive gebracht. Sie werden sowohl von rechts als auch von links kritisiert.

Im Herbst fühlten sich die Grünen wie eine kommende Regierungspartei. Ein zweistelliges Wahlergebnis schien eingepreist. Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck klagte, es werde voreilig schon über die Verteilung von Ministerposten geredet. Ein halbes Jahr später steht das politische Berlin am Krankenbett der Ökopartei und fragt teils erfreut, teils besorgt, warum es ihr so schlecht geht.

Einfache Antworten hat niemand. Der schon wieder verpuffende Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz greift als Erklärung aber zu kurz. Dass es die Grünen schwerer haben als ehedem, liegt daran, dass sich das deutsche Parteiensystem nach rechts verschiebt. Wohl wird die AfD auf eine europäisch unterdurchschnittliche Größe gestutzt. Der Preis dafür ist jedoch, dass CDU und CSU in Teilen ihr Geschäft betreiben, Jens Spahn und Horst Seehofer allen voran.

Sogar der FDP-Vorsitzende Christian Lindner will, dass Mesut Özil die Nationalhymne singt. Und während die SPD im Diskurs über die Asylsuchenden und den Islam zuweilen eher indifferent abseits steht, hat die Linke ihre Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht nur mit Mühe von deren rechtspopulistischen Ausflügen abbringen können.

Zwar decken Cem Özdemir und Winfried Kretschmann die rechte Flanke innerhalb der Grünen glaubwürdig ab. Özdemir ist dabei einer der wenigen Politiker in Deutschland, der sich gegen Islamismus und Rechtsextremismus mit gleicher Authentizität stemmt. Aufs Ganze gesehen gibt es beim Thema offene Gesellschaft allerdings einen zunehmend konservativen Mainstream, der die Grünen in die Defensive drängt. Die Partei ist schließlich ein später Ausläufer der 68er-Bewegung. Und was wir jetzt politisch-kulturell erleben, ist gewissermaßen das Rückspiel. Nicht zufällig ist der Hass der Rechtspopulisten stets zuallererst ein Hass auf alles Grüne – ihre Flüchtlingspolitik, ihre Sexualpolitik, ihre Klimapolitik.

Hinzu kommt das Hausgemachte. Die Grünen sind in ihren politischen Positionen diffus geworden. Sie sind in Thüringen Teil eines Linksbündnisses; im Nachbarland Sachsen-Anhalt gehören sie einer Kenia-Koalition unter Führung der CDU an, in der bedeutende Teile mehr oder minder offen mit der AfD sympathisieren. Kein Wunder, dass angesichts dessen alle fragen, was die Grünen im Kern noch ausmacht.

Die Erfolge in den Ländern werden nicht zur Treppe für den Erfolg im Bund; derzeit ist es umgekehrt. Sie führen in den Keller. Der von der Partei beschlossene und von den Spitzenkandidaten propagierte Kurs der Eigenständigkeit konnte deshalb auch nur so verstanden werden, als sei eine Regierungsbeteiligung das ausschließliche Ziel. Beides zusammengenommen – der rechte Mainstream und die eigene Beliebigkeit – hat zur Folge, dass die Grünen neuerdings von rechts (zu weltfremd) und von links (zu prinzipienlos) kritisiert werden. Und ein bisschen etabliert-elitär sind sie ja tatsächlich.

Manche in der Führung würden gern das komplette Kretschmann-Programm fahren – weg von der linken Gesinnungsethik hin zu einer wertkonservativen Verantwortungsethik. Doch erstens macht das die Partei nicht mit. Zweitens sind Baden-Württemberg und der Rest der Republik weder ökonomisch noch politisch identisch. Und drittens lässt sich Kretschmann nicht klonen. Baden-Württemberg ist für die Grünen ein Muster ohne Wert.

Der Ausweg besteht fürs Erste eher in Korrekturen im Detail. Der Kurs der Eigenständigkeit wirkt bloß glaubwürdig, wenn er mit Festigkeit in der Sache verknüpft wird. Längst sind die Spitzenkandidaten dabei, ein paar Essentials zu definieren. Dazu gehören der Kohleausstieg, die Ehe für alle oder das Nein zu einer Obergrenze für Flüchtlinge.

Überdies werden die Grünen nach der Wahl in Schleswig-Holstein die Habeck-Frage  beantworten müssen – egal ob die Küstenkoalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband triumphiert oder der stellvertretende Ministerpräsident zum Politrentner wird, weil ihm neben dem Ministeramt auch das Mandat flöten geht.

Zwar unterscheidet sich Habeck in seinen Ansichten kaum von denen Özdemirs und Göring-Eckardts. Doch er hat als Newcomer die Frische, die die altgedienten Spitzenkandidaten nicht mehr haben können. Özdemir neigt zu farblosen Anzügen und Krawatte. Habeck indes bedient mit seinen T-Shirts und leuchtend roten Hemden die grüne Sehnsucht nach dem frühen Joschka-Fischer-Stil. Marke rotzfrech. Rhetorisch hat der Philosoph die beneidenswerte Fähigkeit, einen VW Käfer so zu präsentieren, als wäre es ein Porsche. Das sollten die Grünen nutzen. Im Falle eines schlechten Wahlergebnisses müssten Özdemir und Göring-Eckardt ohnehin den Kopf dafür hinhalten.

Die Grünen jedenfalls werden den Gedanken annehmen müssen, dass es nicht mehr darum geht, ins Paradies der Zweistelligkeit vorzustoßen. Es geht darum, den weiteren Abstieg zu vermeiden. Eine Regierungsbeteiligung ist schon längst so weit weg wie der Mond.

Artikel zitiert: Markus Decker in der Frankfurter Rundschau

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