Minderheitsregierung? Warum eigentlich nicht?

Große Koalition oder Neuwahlen – darauf verengt sich derzeit die politische Debatte in Berlin. Dabei hätte eine Minderheitsregierung aus CDU, CSU und Grünen durchaus Vorteile.

Große Koalition oder Neuwahlen – auf diese Alternative spitzt sich die politische Debatte in Berlin zu. Die dritte Möglichkeit, eine Minderheitsregierung der Kanzlerin Angela Merkel, wird meist nur kurz erwähnt, dafür aber um so entschiedener verworfen. Es klingt dann fast wie ein Naturgesetz: Das kann nicht funktionieren und ist für Deutschland und die Probleme in der Welt nicht akzeptabel. Wirklich nicht?

Eine Minderheitsregierung, die sich also nicht von vornherein auf eine eigene Mehrheit im Bundestag stützen kann, sondern sich in jedem Einzelfall – womöglich wechselnde – Partner suchen muss, bringt Unruhe in den politischen Betrieb, klar. Die Risiken sind in den vergangenen Tagen ausführlich beschrieben worden, die Chancen eher nicht. Dabei sind sie überaus deutlich zu erkennen, erst recht vor dem Hintergrund der Alternativen.

Eine werbende Regierung wäre eine Aufwertung des Parlaments

Im Falle einer großen Koalition wird die SPD erneut in eine Konstellation gezwungen, die ihr zutiefst zuwider ist und die ausweislich des Wahlergebnisses immer weniger Bürger wollten. Warum eine solche Not-Gemeinschaft, deren Partner sich vor allem gegenseitig belauern und blockieren werden, stabiles Regieren ermöglichen soll, ist schleierhaft. Bei Neuwahlen sind die Probleme erst recht offensichtlich: Was, wenn das Ergebnis die gleiche Pattsituation ist? Was, wenn die Rechtspopulisten von der AfD erst so richtig zulegen? Dieses Risiko sollte man wohl nur eingehen, wenn es gar keine Alternative gibt. Aber es gibt sie ja.

Für das Grundgesetz ist eine Minderheitsregierung eine zwar ungeliebte, aber zulässige Regierungsform. Erst im dritten Wahlgang kann der Kanzler mit einfacher Mehrheit gewählt werden, damit wollten die Verfassungsväter 1949 wegen der Erfahrungen aus Weimar das Parlament zwingen, Verantwortung zu übernehmen. Aber weder hat der Präsident heute die Macht wie damals, noch ist die Lage überhaupt vergleichbar. Die Republik zwischen den Weltkriegen war zerrüttet, heute ist das Land politisch stabil, die Volkswirtschaft erlebt einen langen und robusten Aufschwung. Wann, wenn nicht jetzt, kann Deutschland sich einen lebendigen politischen Wettbewerb leisten?

Wenn es also stimmt, was die von der FDP versetzten Jamaika-Restverhandler nun hartnäckig behaupten, dass nämlich zwischen CDU, CSU und Grünen mittlerweile eine Atmosphäre des Vertrauens entstanden sei und man inhaltlich ganz knapp vor dem Ziel stand: Dann können diese Parteien doch auch wunderbar koalieren. Eine solche Konstellation wäre, anders als die gegenwärtige geschäftsführende Regierung, voll legitimiert und international handlungsfähig.

Minderheitsregierungen können gut arbeiten

Übrigens sind Minderheitsregierungen weder im In- noch im Ausland so problematisch, wie nun der Eindruck erweckt wird. Skandinavische Länder und Kanada haben in der Summe gute Erfahrungen gemacht, und auch in Deutschland hat es wiederholt auf Zeit funktioniert: in ostdeutschen Bundesländern, aber auch in Berlin und im Saarland, in Hessen und in Nordrhein-Westfalen.

Das stärkste Argument für eine Minderheitsregierung ist die Aufwertung des Bundestags. Denn der Vorwurf, dass das Parlament in den vergangenen Euro-Krisenjahren geschwächt worden sei, war ja nie ganz falsch. Viele der entscheidenden Fragen sind in der Regierung zwischen den Spitzen von CDU und SPD ausgekungelt worden, ehe die Einpeitscher das dann in den Fraktionen durchgedrückt haben; mancher Abgeordnete hat nur mit Groll zugestimmt. Wenn aber die Regierung immer wieder im Parlament um Mehrheiten werben muss, schafft das eine neue, bessere Debattenkultur. Die Verschwörungsfantasien der AfD würden öffentlich eindrucksvoll widerlegt.

Wenn man dann noch bedenkt, dass über den Bundesrat ohnehin eine weitere Kontrolle eingebaut ist, sollte dieser Lösung nichts mehr im Wege stehen. Sie ist ungewöhnlich, anstrengend, überraschend, und alle Akteure müssten neue Wege gehen. Aber warum sollen sich in wandelnden Zeiten immer nur Arbeitnehmer neu orientieren – warum nicht auch die Politik?

Ein Beitrag von Marc Beise in der Süddeutschen Zeitung – Eine Minderheitsregierung – warum nicht?

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1 Kommentar

  1. Ludger Roters

    Demokratisch gesehen sind die Mehrheitsverhältnisse so wie sie sind zu akzeptieren. Der Wähler, höchstes Gut in der Demokratie, hat gesprochen und die Politiker haben diese Auftrag auszuführen, egal wie schwer er ist! Der Wähler darf nicht zum Mehrheitsbeschaffer der Parteien werden, vielmehr müssen die Parteien den Wählerwillen durchführen, auch wenn es schwierig ist – Neuwahlen sind Undemokratisch und nur das wirklich letzte Mittel!

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