Simone Peter verzichtet auf neue Kandidatur für Grünen-Vorsitz

Die Grünenvorsitzende Simone Peter will nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren. Sie wolle sich der Erneuerung der Parteispitze nicht verschließen, schreibt Peter in einem Brief an die Partei. Peter ist seit 2013 Grünenvorsitzende. Im Oktober hatte sie noch angekündigt, sich beim Parteitag Ende Januar erneut zur Wahl zu stellen.

Dr. Simone Peter – Brief an die Partei

Liebe Freundinnen und Freunde,

hiermit möchte ich euch darüber informieren, dass ich von einer erneuten Bewerbung für das Amt als Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen absehe. Wie ihr meinen öffentlichen Äußerungen seit der Bekanntgabe der Kandidaturen von Annalena Baerbock und Robert Habeck für den Bundesvorsitz entnehmen konntet, möchte ich mich einer Erneuerung der Parteispitze nicht verschließen und habe gleichzeitig dafür geworben, dass weiterhin alle Meinungen und Richtungen der Partei im Bundes- und auch Fraktionsvorstand vertreten sind. Mit der Kandidatur von Anja Piel für das Amt als Bundesvorsitzende ist nun weitere Bewegung in die Kandidat*innenfrage gekommen, die mich wiederum bewogen hat, den Platz frei zu machen. Ich hatte genug Zeit darüber nachzudenken und bin der Meinung: Der Partei wird damit ein neues, breites Personalangebot gemacht.

Mit Kontinuität und Erneuerung haben wir in den letzten Jahren in Bundespartei und -fraktion sowie in den Ländern und auf Europaebene gute Erfahrungen gemacht und zuletzt in der Grünen Sondierungsgruppe bei den Jamaikagesprächen vom Zusammenspiel der verschiedenen Akteure unserer Partei profitiert. Mit Leidenschaft, Kenntnis, Ge- und Entschlossenheit haben wir diese schwierige Zeit des Wahlkampfs und der Sondierungen gemeistert, sicher eine der herausforderndsten unserer Parteigeschichte. Wir haben damit aber auch bewiesen, dass Grüne immer noch und einzig der Motor für Klima- und Umweltschutz, für Bürger*innen- und Menschenrechte, für fairen Handel und für eine gerechte Globalisierung sind. Und wir kämpfen leidenschaftlich für Gleichberechtigung und Gleichstellung, gegen die wachsende Ungleichheit, gegen Nationalismus und Ausgrenzung und für Solidarität mit denen, die vor Hunger, Krieg und Verfolgung fliehen.

Ich wünsche mir, dass die Grüne Partei als progressive, linke Kraft der Veränderung weiterhin ihren Beitrag dazu leistet, unsere natürlichen Lebensgrundlagen ebenso zu sichern wie den Zusammenhalt der Gesellschaft, ein solidarisches Europa und eine friedlichere Welt. Vor allem die dramatischen Folgen der Erderwärmung müssen uns weiter antreiben, um gesellschaftliche Mehrheiten für eine klima- und umweltgerechte Politik zu gewinnen und die Klimakrise sowie das massive Artensterben zu stoppen. Die Welt sägt an dem Ast, auf dem sie sitzt. Das müssen wir ändern – schnell! Und deshalb haben wir zuletzt bei den Jamaika-Sondierungen hart für den Klimaschutz verhandelt. Dabei wissen wir: ohne sozialen Aufbruch gibt es keinen ökologischen und ohne Solidarität keine Weltoffenheit. Dafür stehen Bündnis90/Die Grünen und dafür kämpfe ich auch persönlich weiter. Darauf könnt ihr euch sicher verlassen.

Als langjähriger Energiewende-Aktivistin und früherer Umwelt- und Energieministerin war es mir in meiner Zeit als Bundesvorsitzende stets wichtig, den Protest gegen Kohleabbau und –verbrennung zusammen mit euch und unseren Bündnispartnern zu unterstützen, die Erneuerbaren Energien als Schlüsseltechnologien für die sozial-ökologische Modernisierung voranzutreiben und die Agrarwende zum Schutz von Natur und Gesundheit zu forcieren. Mit den zahlreichen Besuchen von Flüchtlingslagern an den Außengrenzen Europas – von Griechenland über Lampedusa und Sizilien bis zur spanischen Exklave Melilla – sowie in den Aufnahmeeinrichtungen unseres Landes habe ich mit euch und den vielen Aktiven für eine humane Flüchtlingspolitik, für sichere Zugangswege und die Seenotrettung gekämpft.

Wir haben zusammen auf Kundgebungen gegen Rechts Rassismus, Hass und Hetze die Stirn geboten, am Equal Pay Day und am 8. März die Lohn- und Gerechtigkeitslücke von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft angeprangert und bei den CSDen für eine bunte, vielfältige Republik demonstriert. Mit der Initiative für den Gerechtigkeitskongress und der Gerechtigkeitsdebatte auf unserer BDK 2016 ging es mir persönlich um ein Herzensthema: den Kampf gegen die wachsende Ungleichheit, Armut und abgekoppelte Eliten, der angesichts des Turbos von Digitalisierung und Globalisierung immer wichtiger wird. Und nicht zuletzt ist es dank der vom Bundesvorstand eingesetzten Aufarbeitungskommission und eurer Unterstützung gelungen, die früheren Parteibeschlüsse so umfassend aufzuarbeiten, dass wir zusammen mit Betroffenenverbänden und dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs unsere Position zu Kinderrechten klar schärfen und eine Entschuldigung auf dem Parteitag 2015 aussprechen konnten.

Es hat mir viel Spaß gemacht, die Europawahl 2014, zig Landtags- und Kommunalwahlen sowie die Bundestagswahl 2017 mit euch zusammen zu stemmen, die Aktivitäten unserer Kreisverbände zu erleben und zu unterstützen, mit dem Bundesfrauenrat, der Grünen Jugend und den Grünen Alten, den BAGen, dem G-Kamin und alle anderen Gremien und Runden zu diskutieren und programmatische Vorschläge zu entwickeln. Und mit Leidenschaft habe ich auf Europaebene die Kontakte zu unseren Schwesterparteien und Partnern gepflegt und als gebürtige Europäerin für ein gemeinsames Europa als Basis unseres friedlichen Zusammenlebens gekämpft.

Manches war nicht leicht und ich habe es euch nicht immer leicht gemacht. Aber wir sind eine starke Partei, die mit ihrer Geschichte, ihren Anliegen für eine ökologische, sozial gerechte, freie und weltoffene Gesellschaft und ihren vielen engagierten Menschen unterschiedliche Positionen aushält und von lebhaften Debatten, vielen Ideen und Visionen profitiert. Das gibt uns auch die sichere Gewissheit, dass es sich lohnt, weiter für grüne Themen zu kämpfen und sie in Regierung oder Opposition zum Erfolg zu führen. Das wird nicht leicht als sechste Kraft im Bundestag, sofern es zur Bildung einer Großen Koalition in einer Republik kommt, in der die Rechten in unerträglicher Stärke ins Parlament eingezogen sind, und auch die Herausforderungen in Europa und global immer größer werden. Vielleicht kommt es auch anders, und die Partei steht bereit für neue Regierungsgespräche oder gar Neuwahlen. Aber auch das schaffen wir. Alle zusammen. Wir wollen zuhören, vermitteln, Vertrauen schaffen: für ein friedliches Miteinander und für die Zukunft für unsere Kinder und Kindeskinder. Das ist es, was uns antreibt, und das ist und bleibt unsere Grüne Aufgabe und unser Ziel.

In den vergangenen neun Jahren hatte ich das Glück, dass immer wieder herausragende Positionen an mich herangetragen wurden: die Ministerin im Saarland im Jahr 2009, die Spitzenkandidatin für die saarländische Landtagswahl im Jahr 2012 und schließlich das Amt als Bundesvorsitzende nach der Bundestagswahl 2013. Die Entscheidungen dafür musste ich stets innerhalb weniger Tage treffen und habe sie nie bereut. Im Gegenteil. Jetzt werde ich in Ruhe überlegen, wohin mich der weitere Weg führt. Ich bin und bleibe politischer Mensch, Aktivistin, Menschenfreundin und Naturnärrin. Darin habt ihr mich in den vergangenen Jahren noch bestärkt. Bleibt so, wie ihr seid, sage ich nicht, denn Dinge ändern sich und manches kann auch besser werden. Dafür wünsche ich der Partei und allen, die in Leidenschaft Verantwortung übernehmen und Grüne Politik befördern, alles erdenklich Gute. Und ich freue mich, euch bei nächster Gelegenheit zu treffen. Die BDK ist nicht mehr weit. Dort werde ich mich formal als Bundesvorsitzende verabschieden.

Schließlich möchte ich mich bei allen bedanken, die mich persönlich und politisch in diesem Amt unterstützt haben, sowie bei der gesamten Partei für die Chance, diese wunderbare Aufgabe die vergangenen vier Jahre wahrnehmen zu dürfen. Mein Büro in der „BGST“ und alle Mitarbeiter*innen seien ganz besonders genannt.

Zukunft wird aus Mut gemacht.

Eure Simone

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