Feuer mit Feuer bekämpfen?

Wer im Bundestag von „alimentierten Messermännern“, von „Kopftuchmädchen“ und „Taugenichtsen“ spricht, tut das, nicht um Klartext zu reden oder die Dinge „endlich“ beim Namen zu nennen, sondern um zu provozieren. Um ganz bewusst Empörung auszulösen. Prinzip aufgegangen, denn schon folgten reflexhafte Zwischenrufe von anderen Parlamentariern. „Pfui!“, „Schämen Sie sich!“, was wiederum zu weiteren Tumulten führte und zu neuen Tabubrüchen: “Dieses Land wird von Idioten regiert!“ Am Ende gab es eine Rüge des Bundestagspräsidenten.

Was ist da heute im Bundestag passiert? Rhetorische Kunst – oder missratene Formulierung?

Ganz bewusstes Kalkül – oder einfach nur ein Missgeschick? Aufmerksamkeitsgescheische – oder schlecht verpackter Lösungsansatz?

Man wird langsam mehr als skeptisch. So viele Politiker aller Couleur reden mit erhobenem Zeigefinger von der Spaltung der Gesellschaft, von dem Ruck in die eine oder andere extreme Richtung. Andere gar von Untergang und Zerfall. Je nach Richtung halt. Aber dieser Theaterdonner hat schlicht keinerlei Nutzen. Man reizt sich gegenseitig bis aufs Blut, um dann mit großem Getöse aus der Haut zu fahren. Problem: die Empörung nutzt sich ab. Aber viel gravierender: Es springt für uns Bürger nichts dabei heraus. Keine Lösungen, nichts konstruktives, erhellendes, sinnstiftendes, sondern nur noch mehr Irritation für alle.

Politische Auseinandersetzungen sind schon etwas Besonderes. Natürlich darf man die politischen Gegner nicht permanent „in Watte packen“. Der politische Diskurs lebt auch von einer Klarheit, die Unterschiede deutlich macht. Man muss Dinge beim Namen nennen. Man muss kritisieren. Manchmal auch drastisch. Zuspitzen. Überspitzen. Auch emotional.

Zurzeit kann man aber den Eindruck bekommen, unser politisches Spitzenpersonal denkt nicht mehr über die möglichen Folgen seiner/ihrer Äußerung nach. Oder täuscht man sich da, und es geht nur noch um Zynismus, oder sogar aggressiv gewollte Provokation, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erreichen? Es ist sicherlich von allem was dabei.

Sachliche politische Auseinandersetzung? Gesellschaftliche Vorbilder? Eher nicht.

Und wie ist Christian Lindners Geschichte vom plötzlich unsicherheitsgeprägten Bäckereibesuch und der „Beobachtung“ schlecht Deutsch sprechender Kunden zu erklären? Oder die „statistische Logik“ genannten „Erfahrungen und Häufigkeiten“, mit der Tübingens OB Boris Palmer einen (fast) rempelnden Radfahrer als „Asylbewerber“ blitzeinordnete? Beides klang eher verdächtig nach Vorurteilen, denn nach ausgewogener Beobachtung. Oder der bayerische Kreuzzug gegen „Abschiebe-Saboteure“?

All das wirkt auf den ersten Blick leider sehr schlicht und wie eine Art Konkurrenzveranstaltung gegen die spaltende Polemik, der sich – nicht nur aber gern und immer wieder – die AfD bedient.

Als wolle man Feuer mit Feuer bekämpfen, was nur in sehr, sehr seltenen Fällen klappt.

Sind das jetzt alles Stöckchen, über die man springen kann, aber nicht muss?

Sind das gezielt gesetzte Provokationen, weil man durch den 24/7 Dauerbeschuss von Nachrichten sonst nicht mehr durchdringt?
Sind das Aussagen à la „wird man doch mal sagen dürfen“, weil man weiß, keine Provokation hält länger als einen Tag und zudem bleibt sie meist ohne Konsequenzen?
Oder es ist einfach nur Ausdruck einer neuen Fahrlässigkeit? Das kann man kaum glauben, angesichts der langjährigen Erfahrung in politischen Spitzenämtern.
Denn gerade in dieser angespannten Situation sollten sich Politiker doch sehr bewusst sein, was sie mit ihren Aussagen anrichten. Hinterher sagen, man sei falsch verstanden worden, das nutzt sich langsam ab, auch wenn das natürlich mal passieren kann.

Es wird Zeit für ein neues Verantwortungsgefühl. Es ist Zeit, Aussagen zweimal zu prüfen, bevor man sie in die Welt trägt. Es ist Zeit mitzuteilen, ob man die Gräben vertiefen will oder mithelfen, sie zu überwinden. Es ist Zeit, Wahrheiten zu benennen, ohne andere gleichzeitig zu diffamieren. Es ist Zeit für echte Nachrichten mit Inhalt und nicht für den nächsten „Aufreger der Nation“.

Ein Kommentar von Dunja Hayali

WhatsApp Google+

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld