Plastik ist die Seuche des 21. Jahrhunderts

Weltweit steigt der Kunststoffverbrauch rasant, doch die Politik reagiert nicht. Lösungen könnten die Plastiksteuer der EU und besseres Recycling sein. In ihrem Gastbeitrag für den Tagesspiegel zeigen der Bundesvorsitzende Robert Habeck und der stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion Oliver Krischer auf, wie wir weg vom Wegwerfplastik kommen können – und hin zur grünen Chemiewende.

Die Tomate im Plastikpaket, die Gurke in Plastikfolie, die kleinen Schokoriegel gleich doppelt in Plastik verpackt, Plastikkaffeekapseln, Wattestäbchen mit Plastikstielen, Plastikgabeln, Plastiklöffel, Zahnpasta mit Mikroplastik – das ist ganz normaler Supermarktalltag. Genauso Alltag sind: vermüllte Meere, Wale, die eben diese Kaffeekapseln im Bauch haben und Vögel, die vor Hunger sterben, weil Plastik ihre Mägen füllt statt Fisch. Plastik ist die Seuche des 21. Jahrhunderts.

In den letzten 20 Jahren hat sich der Verbrauch von Plastik in den Haushalten verdoppelt. Pro Kopf fallen mittlerweile rund 40 Kilogramm im Jahr an. Wenn man dieses Gewicht in Frischhaltefolie umrechnet, reicht die Ausrollstrecke rund 25 Kilometer weit – einmal halb durch Berlin. Übertragen auf 80 Millionen Deutsche wird das gigantische Ausmaß der Ressourcenverschwendung deutlich: In kaum einem europäischen Land fällt pro Kopf so viel Kunststoffabfall an wie in Deutschland.

Diese Erkenntnis des Problems ist indes nicht neu. Die Dramatik der Entwicklung wurde oft beschrieben und die Empörung war stets groß. Aber man darf sich nichts vormachen: Wer sich auf der Empörung ausruht und die Lösung des Plastikproblems auf die Bürgerinnen und Bürger abschiebt, macht aus einem politischen Problem ein moralisches. Wer an das Bewusstsein der Verbraucher appelliert und Veränderungen verlangt, statt sich selbst der Aufgabe zu stellen, leistet der Privatisierung von Politik Vorschub. Stattdessen brauchen wir reale Schritte, um die Plastikflut einzudämmen. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, endlich loszulegen, statt bei jedem neuen Schritt erstmal die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen.

Die EU jedenfalls hat jüngst handfeste Vorschläge gemacht. Dazu gehört zum Beispiel, Plastikstrohhalme, Wegwerfgeschirr und Essstäbchen aus Plastik zu verbannen. Denn es macht ja keinen Sinn, ein sehr langlebiges Material für die kurzfristigste Verwendung zu nutzen. Entsprechend ist es konsequent, bestimmte Wegwerfprodukte aus Kunststoff auch zu verbieten. Vor allem beim Mikropalstik in Pasten und Peelings ist das richtig. Aber auch Strohhalme heißen nicht umsonst Stroh- und nicht Plastikhalme… Und es gab tatsächlich einmal eine Welt, wo nicht an jedem Kiosk Plastikumrührstäbchen standen.

Doch bloße Verbote packen das Problem nicht an der Wurzel. Vor allem müssten die staatlichen Subventionen von Plastik endlich ein Ende haben. Wie kann es sein, dass unser Staat Erdöl zur Produktion von Kunststoffen nicht besteuert – im Gegensatz zur Verwendung von Erdöl für Kraftstoffe. Dadurch unterstützt der Staat den Plastikwahn pro Jahr mit mindestens 780 Millionen Euro. Andere Schätzungen gehen von Steuerverlusten bis zu zwei Milliarden Euro aus. Die deutsche Subvention von Plastik nutzt vielleicht der Plastikindustrie, aber sicher nicht der Umwelt oder dem Steuerzahler.

Die EU-Kommission will zudem die wachsende Plastikflut mit einer Plastiksteuer eindämmen. Es ist bezeichnend, dass so eine Initiative nicht aus Berlin, sondern aus Brüssel kommt. Die Bundesregierung sollte sich geschlossen hinter die Idee stellen. Denn eine Steuer kann über den Preis einen Anreiz liefern, weniger Plastik zu benutzten. Bei den Plastiktütengebühren hat es funktioniert, inzwischen muss man zu Hause oft schon suchen, um noch eine Plastiktüte im Schrank zu finden. (Ihren Zweck hätte die Steuer übrigens dann erfüllt, wenn darüber keine Einnahmen mehr in den Haushalt flössen.)

Aber auch das wird allein nicht reichen. Wir brauchen einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen. Dazu gehört besonders das Recycling, denn wenn schon Kunststoff, dann langlebig und recyclebar. Nur ist das Plastikrecycling bislang eine Mogelpackung. Denn das meiste Plastik kann derzeit nicht recycelt werden. Mehr als die Hälfte des gesammelten Materials landet nach einer Sortierung in Müllverbrennungsanlagen und Zementwerken, zum Teil auch in Braun- und Kohlekraftwerken. Wenn hier ein Teil der Verbrennungswärme zu Strom oder Heizenergie verwandelt wird, gilt diese Verbrennung als Verwertung – und zwar als thermische – ist damit als Recycling.

Was auch wenig bekannt ist: Aus einer alten Käseverpackung entsteht praktisch nie eine neue Käseverpackung. Denn wenn Kunststoff eingeschmolzen und wiederaufbereitet wird, leidet die Qualität. Plastik lässt sich nicht wie Metall oder Glas beliebig oft wiederverwenden, das Material wird von Mal zu Mal schlechter: Die „Wertschätzung“ der Wirtschaft zeigt sich auch im Preis von Kunststoffgranulat: Während Recyclingmaterial für rund 400 Euro die Tonne zu haben ist, kosten frische Kunststoffe 1200 Euro und mehr.

Hier sind die Hersteller in der Pflicht, besser recycelbare, sortenreinere Kunststoffe zu produzieren und Alternativstoffe zu entwickeln. Insofern kann aus dem Verzicht auf Wegwerfplastik ein Innovationsschub entstehen – im besten Fall eine grüne Chemiewende. Das geht nicht von heute auf morgen, aber wenn wir nur auf morgen warten, passiert gar nichts.

Erstveröffentlichung am 22. Mai 2018 auf tagesspiegel.de

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