Herbstlicher Buchenwald

Bäume helfen, die Luft zu reinigen die wir atmen, sie filtern das Wasser, das wir trinken und sie bilden den Lebensraum für andere Pflanzen, Pilze und für unzählige Tiere.

Die Rechte der Natur

Ein Beitrag von Christian Holtgreve


In den Wäldern der Welt wurzeln die Bäume und wachsen in die Höhe, ihre Kronen bilden ein großes Dach, das die Erde vor dem Austrocknen schützt. Bäume helfen, die Luft zu reinigen die wir atmen, sie filtern das Wasser, das wir trinken und sie bilden den Lebensraum für andere Planzen, Pilze und für unzählige Tiere, vom kleinsten Wurm bis zum Jaguar. Sie verhindern Überschwemmungen und Erosion und sie tragen vielfältige Früchte, die Mensch und Tier ernähren. Wälder binden die schädlichen Treibhausgase, produzieren den Sauerstoff, den wir zum Überleben brauchen und nicht zuletzt bieten sie einen Erholungsort für uns Menschen.

Nur unter Bäumen finden wir das, was wir wegen all des Betons und Asphalts verloren haben.
Dazu liefern sie den Rohstoff zum Heizen, zum Bauen von Häusern, Möbeln und Schiffen und das nachhaltig, denn sie wachsen ständig nach. Für viele indigenen Völker dieser Welt sind die Bäume, ist
der Wald ihre Heimat, in dem und von dem sie leben. Die Natur ist ihnen heilig, sie nennen sie ihre Mutter, „Pachamama“, „Mutter Erde“, wie es sogar in der Verfassung von Ecuador als Grundprinzip verankert ist, die bisher einzige Verfassung der Welt, in der die Natur selbst als Rechtssubjekt verankert ist. Ihr stehen damit Achtung und das Recht auf vollständige Wiederherstellung zu.

Das Gegenteil passiert zur Zeit. Die Zerstörung der Artenvielfalt verursacht einen jährlichen ökonomischen Schaden von 4 bis 6 Billionen US-Dollar, während die Ausgaben für den Schutz der Natur gerade mal 0,1 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung betrugen. Bereits Karl Marx beschrieb vor 150 Jahren wie der Kapitalismus die Natur zu einer Ware macht, die man in Privateigentum verwandeln kann. So sichern sich große Konzerne z.B. Monopole auf Trinkwasser oder melden Patente auf Heilpflanzen an, die indi-
gene Völker seit Jahrhunderten nutzen. Die Natur gehört aber vor allem sich selbst. Der Mensch
darf sie nicht einfach privatisieren und sie als reine ökonomische Ressource benutzen. Nur so schützen wir die Biodiversität und damit unsere eigene Lebensgrundlage. So hat kürzlich das spanische Verfassungsgericht die Anerkennung der Salzwasserlegune „Mar Menor“ als Rechtssubjekt bestätigt. Diese wegweisende Entscheidung stärkt die Rechte der Natur nicht nur in Spanien sondern in ganz Europa. Auch die Fachtagung „Rechte der Natur- Wege zur Durchsetzung in Deutschland“ am 11. November dieses Jahres ging davon aus, dass die bisherige Naturschutzgesetzgebung nicht in der Lage war, den Niedergang der Natur, das Artensterben und das massenhafte Tierleid aufzuhalten. Also müssten die Länderverfassungen die Rechte der Natur anerkennen und auch Einzelklagen können die Rechte der Natur für Tiere oder Ökosysteme einfordern. Die Menschen müssen in einer Rechtsgemeinschaft mit der Natur leben.

Im Art. 1 unseres Grundgesetzes heisst es zwar, die „Würde des Menschen ist unantastbar“, aber einen auch nur annähernd gleichen Schutz des nicht-menschlichen Lebens gibt es nicht. Für das Zusammenleben von Mensch und Natur müsste eine „Basisnorm“, eine verfassungsrechtliche Grundthese
formuliert werden, die so lauten könnte: „Der Mensch ist eingebunden in die Kreisläufe der Natur. Der Natur wohnt eine eigene Würde innen“, so der Vorschlag des Rechtsanwalts Bernd Söhnlein in seinem aktuellen Buch „Die Natur im Recht: Vision einer ökologischen Rechtsordnung“. Die Erfahrung hat gezeigt: die Natur nur aus menschlichen Interessen zu schützen – wegen der künftigen Generatio-
nen oder weil die Umweltverschmutzung unsere Gesundheit gefährdet – hat bisher wenig gebracht.
Allerdings wurde am 27. Oktober 1994 der neu geschaffene Artikel 20a in das Grundgesetz aufgenommen und damit der Umweltschutz zum Staatsziel erklärt.

Der Tierschutz fand erst im Jahr 2002 seinen Weg in die Verfassung, nach einer jahrelangen gesellschaftspolitischen Debatte. Seither lautet der Art. 20a des GG: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die
Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtssprechung.“ Zwar hatte die SPD bereits 1971 ein Grundrecht auf Umweltschutz in ihr Umweltproramm aufgenommen, aber erst als die Grünen Anfang der 80er Jahre in den Bundestag einzogen, kam es dann zur Einführung eines Staatszieles Umweltschutz. Über die Wirkung von Staatszielen wird bis heute diskutiert. Denn es bleibt strittig, ob durch ein solches Staatsziel das zu schützende Gut aufgewertet und den gleichen Rang
wie die Grundrechte erhält. Denn auf eine ausdrückliche Vorrangstellung des Umweltschutzes vor anderen verfassungsrechtlichen Rechtsgütern und Prinzipien wurde laut der Verfassungskommission ausdrücklich verzichtet.

Am 24. März 2021 erließ das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Klimaschutz, der damit durch die entsprechende Interpretation von Art. 20a und den Freiheitsrechten jüngerer Generationen Verfassungsrang erhielt. Dies war ein großer Erfolg von verschiedenen Umweltorganisationen und wegen der großen Kimaschutz-Demonstrationen von „Fridays for Future“. In der Begründung des Urteils hieß es, dass mit den natürlichen Lebensgrundlagen laut Art. 20a GG sorgsam umgegangen werden müsse, sie müssten der Nachwelt in einem Zustand hinterlassen werden, „dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.“ Zugleich müsse der Staat eigene Klimaschutzmaßnahmen ergreifen, er könne sich nicht seiner Verantwortung durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen. Trotz des wegweisenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts bleibt das Problem bestehen, wie ein effektiver Klimaschutz umgesetzt werden kann. Mit dem neuen Klimaschutzgesetz aus diesem Jahr hat sich Deutschland das Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2045 treibhausgasneutral zu sein. Ob dieses Ziel erreicht werden kann und ob es dann nicht zu spät ist, die Erderwärmung noch zu stoppen, bleibt die offene Frage. Wenn es der Menschheit nicht gelingt, die Erderhitzung nicht zu stoppen, werden sich die Lebensbedingungen von Milliarden Menschen drastisch und dramatisch verschlechtern.

Im Zeitalter des „Anthropozäns“ ist der Mensch selbst zu einer „Naturgewalt“ geworden, der für die schlimmen Schäden in und an der Natur verantwortlich ist. Daraus kann nur die Einsicht gewonnen werden, dass wir unser Leben ändern müssen. Wenn wir die Natur als eigenes Rechtssubjekt anerkennen würden, käme dies nicht nur einer rechtlichen, sondern auch einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Revolution nahe. Aber ob es dann nicht schon zu spät ist, die Klimakrise aufzuhalten und die Erderhitzung nicht über das 1,5 Grad-Ziel ansteigen zu lassen, das ist schon jetzt höchst frag-
lich. Bereits heute nehmen die Extremwetter so massiv zu, dass jedes Zehntel mehr an Erderhitzung zu einem deutlichen Anstieg von Dürren, Überschwemmungen, Hitzeperioden, Bränden und Wirbelstürmen führt. Ob dieser „Kipppunkt“ von 1,5 Grad schon bald erreicht ist und dann das Klima völlig außer Kontrolle gerät, das steht zu befürchten. Schon heute schmelzen die Gletscher, die Pole tauen ab, der Meeresspiegel steigt, die ersten Inseln verschwinden, das Trinkwasser wird knapp und die Wüsten breiten sich aus. Wir Bürgerinnen und Bürger sollten die neue Verfassungsbeschwerde vom 16. September 2024 von Greenpeace und Germanwatch gegen die unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung unterstützen.

WhatsApp Google+

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld