Postwachstumsökonomie und Transformation(en) des Kapitalismus

In letzter Zeit werden die Themen der Wachstumskritik, eines Postwachstums oder einer sozial-ökologischen Transformation des Kapitalismus immer populärer, in Zeitschriften und unzähligen Blogs im Netz, und diversen Tagungen und Symposien.
Ich will hier möglichst Grundsätzliches und markantes zu dem Thema zusammentragen und wenn es geht, Antworten zu der Frage finden, wie gesellschaftliche Initiativen und Bewegungen mit der Politik zusammenkommen können, um Transformationen hinzubekommen.

  1. Einleitung (oben)
  2. Problemskizze
  3. Green Economy, nachhaltiger Konsum oder ähnliche „alte“ Ansätze
  4. Postwachstum, Degrowth, Commons – kurz skizziert
  5. Literaturhinweise

Es geht also um eine Ablösung der expansiven, ressourcenzerstörenden kapitalistischen Ökonomie. Diese zerstört unübersehbar unsere Lebensgrundlagen durch Vergiftung oder Verdrängung aller anderen Lebensformen außer der menschlichen. Das Artensterben mit dem Rückgang fast aller Populationen wird schon das 6. Große Artensterben genannt, vergleichbar mit den Folgen früherer Meteoriteneinschläge, die die bisherigen 5 Wellen von Artensterben verursacht haben. Wissenschaftler empfehlen inzwischen unmissverständlich, das Gros aller noch vorhandenen fossilen Energiereserven vorerst, für Jahrhunderte oder Jahrtausende, in der Erde zu belassen.

Der Zustand der Ozeane (Versauerung, Vermüllung, Überfischung etc.) gehört ebenso in diese Reihe der Überbeanspruchung unseres Planeten. Ja, sogar Sand wird knapp, und die Küsten mancher Länder werden also nicht mehr nur von steigendem Meeresspiegel bedroht.
Nicht nur der Physiker Harald Lesch spricht Klartext, zuletzt im November bei den Grünen zu Landwirtschaft und Klimawandel.
Das Gute ist noch, was menschengemacht ist, sollte auch in unserer Hand liegen, zu ändern.

Das alles muss Folgen für unser Wirtschaften haben. Unvorstellbar eigentlich, wie in kürzester Zeit sogar ein Wirtschaften ohne Emissionen, mit drastisch eingeschränktem Ressourcenverbrauch, am besten ohne jede weitere Produktion von Müll möglich sein soll.
Wir stehen also vor immensen Herausforderungen.

Die Probleme haben mit Beginn der Sesshaftigkeit, also mit Ackerbau und Viehzucht bereits begonnen, schon mit messbarem zusätzlichen Eintrag von Klimaschadstoffen. Mit Beginn der Industrialisierung verstärkte sich der Raubbau an den Ressourcen mittels Bergbau etc., Kolonialisierungen ganzer Kontinente von Europa aus globalisierte einen Raubbau an Mensch und Natur.

Eine markante Stufe bildet auch die Zeit ab 1950, als viele Parameter u.a. des Verbrauchs von Ressourcen exponentiell anzusteigen begannen. Die Wendezeit um 1990 brachte ungehemmte weitere Globalisierung von Produktion, Handel und Konsum, flankiert durch neoliberale Politik und Privatisierung von immer mehr öffentlichen Gütern. Und die Räder drehen sich, auch begleitet von einem riesigen Wasserkopf weltweiter Finanzspekulation, immer noch schneller und schneller…

Die kapitalistische profitgetriebene Ökonomie hat sich dabei unter verschiedensten politischen Regimen durchgesetzt. Dabei wird lebendiger Boden, Wasser, Bodenschätze aller Art und menschliche Arbeitskraft gering bewertet, damit sich der ganze Rummel überhaupt rentiert.

Die Produktion ist das eine, der Handel und der Konsum ist die andere Seite der Medaille:

Jeder Mensch, der aus irgendeiner Erwerbsarbeit wenigstens ein bisschen Einkommen erzielt, ist Teil eines riesigen Potentials von Konsumenten, die immer raffinierter auf den Markt gebrachte Waren verbrauchen sollen. In den reichen Ländern bzw. reichen Oberschichten wird aber nicht mehr verbraucht, sondern vieles nur noch erworben, gesammelt, getauscht oder weggeworfen.
Der Müll, der bei uns noch auf Dachböden oder in Kellern lagert, ergießt sich in manchen Ländern seit Jahrzehnten förmlich bis ins Meer.

Diese Ökonomie ist von Natur aus expansiv, braucht also Wachstum wie sonst nix.

Ohne Wachstum keine Profite, Effizienz- und Produktivitätssteigerungen, Entlassungen, neue Märkte, neue Waren, vielleicht auch neue Arbeitsplätze.

Was ist mit dem Green New Deal, gibt es Grünes Wachstum, gibt es Nachhaltigkeit unter kapitalistischen Rahmenbedingungen? Helfen uns Energien aus natürlichen Ressourcen, zu einer Nachhaltigkeit zu gelangen, die diesen Namen verdient? Helfen Effizienzsteigerungen, gibt es technische Lösungen, die unsere Zukunft unter Beibehaltung des Systems retten? Die Antwort ist schlicht Nein!

Wissenschaftler haben schon früh untersucht und gefunden , dass auf Effizienzsteigerungen mindestens der vorherige Ressourcenverbrauch folgte, meistens ein gesteigerter Verbrauch die Folge war. Unter kapitalistischen Bedingungen verkehren sich die meisten „Lösungen“ früher oder später in Irrwege, so beim Biogas aus Maisanbau und dem sogenannten Bio-Sprit etc.

Verantwortlich ist zunächst, dass technische Errungenschaften additiv eingesetzt werden, statt alte Technologien abzulösen. Oder es greifen einige der verschiedenen Rebound-Effekte. Davon sind 12 verschiedene gefunden worden.

Eine sparsamere Technik im Haushalt z. B. füllt den Geldbeutel, was dazu führen kann, dass von dieser Technik umso mehr Gebrauch gemacht werden kann (z. B. ein wieder größerer Bildschirm). Aber es kann auch das gesparte Geld in eine längere oder weitere Reise gesteckt werden.

Wichtig finde ich in jedem Fall, Rebound-Effekte kennen zulernen und in der Politik immer mitzudenken und zu benennen!

Manche Hoffnung auf Wachstumsbegrenzung wurde auch in die Dienstleistung gesetzt anstelle der Produktion. Null Effekt hier. Oder es wird die Verantwortung in den Schoss des Verbrauchers gelegt. Appelle an eine Verbrauchersouveränität sind aber keine politische Lösung, Verbraucher werden durch gezieltes Marketing und irgendwelche Innovationen laufend überfordert, da brauchen wir uns gar nichts vormachen.

Aber man hat wenigstens mal in 2016 festgestellt: zum ökologischen Fußabdruck trägt wer arm ist, weniger, wer wohlhabend ist entsprechend mehr bei. Aha!

Damit nun endlich zu den Lösungsansätzen:

Die Ökonomie, die sich im Bruttosozialprodukt manifestiert, und zu der noch die Schattenwirtschaft, die Illegalen Geschäfte und die Finanzspekulation gehört, bildet nicht das ganze wirtschaftliche Geschehen ab.
Ökonomie ist auch die unentgeltliche Familien- und Hausarbeit, das Ehrenamt in Vereinen, das zivilgesellschaftliche Engagement, die Nachbarschaftshilfe, die Care-Ökonomie, die Eigenarbeit z.B. für die Gesundheit oder Weiterbildung usw.
Egal, ob arm oder reich: Menschen mögen es, wenn sie selbst etwas schaffen können. Und die Forschung belegt, dass es Menschen schon glücklich macht, etwas helfen zu können, Anerkennung schadet nicht, aber materielle Zuwendungen schon. Kleine Kinder z.B. lernen schnell, Belohnungen zu erwarten, wo sie sie sonst unermüdlich helfen würden.

Auf diese sozialen und empathischen Fähigkeiten der Menschen bauen verschiedenste Gemeinschaften auf, z.B. die ambitionierte Gemeinschaft Schloß Tempelhof, oder das Globale Öko-Dorf-Netzwerk mit rund 1000 Adressen weltweit. In diesen Gemeinschaften und auch in den Städten werden Umsonstläden aufgemacht, oder eine Schenkökonomie wird ausprobiert.

Das bringt uns zu den Commons, den Gemeingütern. Commonsbasierte Ökonomien sind nicht
profitorientiert und basieren auch nicht auf Tauschbeziehungen. Die wirtschaftliche Tätigkeit ist ein „Beitragen“ und umfasst alle unentgeltlichen Beiträge zur Gemeinschaft. Ein Beispiel ist auch die Peer-to-Peer-Ökonomie.

Der Dreh ist generell, mit den Veränderungen im sozial-ökologischen Feld nicht auf irgendwas zu warten, sondern je nach Möglichkeiten zu beginnen, auszuprobieren, aus Fehlern eben zu lernen, und weiterzugehen.

Ein Beispiel für Solidarische Ökonomie ist die Solidarische Landwirtschaft, die noch engere Beziehungen zwischen Bauern/Gärtnern und Verbrauchern schaffen will als der Ökol. Landbau schon hat. Dabei steht die Produktion des Bedarfs der Verbraucher im Vordergrund.
BioBoden-Genossenschaften wollen wertvolles Land für den ökologischen Landbau sichern, soweit ich das sehe, ohne ihren Anlegern Rendite zu bringen.

Genossenschaften stehen wieder hoch im Kurs. Diese oder Stiftungen können Vehikel sein von sozialem und gemeinwohl-orientiertem Wirtschaften, wenn sie denn Profitmacherei verbindlich ausschließen können.

Im Kinofilm „Tomorrow“ wird ein erfolgreiches Beispiel eines regionalen Finanzsystems in der Schweiz (mit dem „Taler“ als Tauschmittel“) vorgestellt, wo das Anlegen von Gewinnen mit einem Negativzins unattraktiv gemacht wird, so dass Überschüsse eher in der regionalen Wirtschaft eingesetzt werden, statt privatem Profit zu dienen. Eine mögliche, vielleicht wichtige Alternative zum Geldsystem, wie wir es kennen.

Öffentliche konsumfreie Räume müssen verteidigt oder neu und dauerhaft besetzt werden.

Es gibt nicht die eine Transformation und es gibt keinen Masterplan (lt. H.Welzer), sondern viele, ungleichzeitige, und mehr oder weniger erfolgreiche Transformationen.

Selbst wieder mehr Kontrolle über die eigene Lebenszeit zu gewinnen, heißt sich selbst ermächtigen. Dabei spielt Reduktion eine große Rolle: Es gibt vieles, was man lassen oder reduzieren könnte: Flugreisen, Auto fahren, zu viel Fleisch essen usw. Weniger Geld verdienen mit weniger Erwerbsarbeit bedeutet natürlich weniger Einkommen für den Konsum zu haben. In der freien Zeit kann man etwas für sich oder eine Gemeinschaft tun, Zeit teilen, und gemeinsam unnötigen Konsum vermeiden, z.B. indem man Dinge repariert oder sorgsam pflegt.
Vermeiden geht übrigens vor reparieren geht vor recyclen geht vor kaufen.

Gesellschaftlich hat die Entwicklung von Bewusstheit auf der psychologischen Ebene für diese Dinge eine große Bedeutung. Deshalb sind die Beispiele, die die diversen neuen Initiativen und Gemeinschaften vorleben, so wichtig.
Nicht alles kann zurückgefahren werden. Wissenschaft und Technik müssen auf einem sehr hohen Niveau erhalten bleiben. Aber die verdammte Angst vor sozialem Abstieg, fehlender Altersvorsorge usw. muss aus den Köpfen, stattdessen müssen Vertrauen und Mut wachsen.

Nach Welzer ist es so: Wenn in allen gesellschaftlichen Schichten und Bereichen nur 3-5 % der Menschen für eine „Nachhaltige Moderne“ eintreten, werden die sozialen Bewegungen wirkmächtig und können die Dinge verändern.

Eine Frage noch: Was bringt ein reduktiver Lebensstil? Wird das kapitalistische Wachstum dadurch irgendwann obsolet? Nein, dadurch alleine nicht. Verzicht und Reduktion bergen auch die Rebound-Effekte in sich – die weniger nachgefragten Waren werden billiger, andere Menschen auf der Welt – es gibt ja genug – konsumieren, was wir verweigern.

Die Antwort ist:

Die Politik muss die gesellschaftlichen Initiativen und Experimente flankieren. Auf den politischen Ebenen müssen GRENZEN gesetzt werden, zu aller erst für den Abbau der jeweiligen Ressourcen, die verantwortlich sind für alle Emissionen und Belastungen unserer Lebensgrundlagen.

Grenzen für den Flächenverbrauch z.B., alles was die Ressourcen schonen könnte. AB JETZT SOFORT!
Dann muss die Politik den Menschen die ANGST nehmen, indem die Sozialpolitik für Ausgleich sorgt. Die Politik kann den Menschen helfen zu verstehen, worum es in Zukunft geht: einen sozial-ökologischen Wandel miteinander zu gestalten, statt blind ins DESASTER zu geraten.
Dafür wiederum muss man der Politik wohl auch ein bisschen Feuer unterm Arsch machen…

Zum Schluß ein Zitat von Friederike Habermann (2014) „Commons-basierte Peerproduktion, “Commonismus” oder “Ecommony” als Alternative

(…) „Utopisch? Klar. Wir stecken ja auch in einer anderen Rationalität. So wie die Wikinger in Grönland, die keinen Fisch essen wollten. Und deshalb untergingen.

Gerettet hätte sie nicht, darauf zu warten, dass jemand an die Macht kommt, der Fisch essen akzeptabel macht – denn so jemand wäre nicht an die Macht gekommen. Gerettet hätte sie, anzufangen, Fisch zu essen. Und so die Rationalität ihrer Gesellschaft zu verändern. Bissen für Bissen. Schritt für Schritt.“

Literaturhinweise:

Warmzeit. Klima. Mensch und Erde – Edition Le Monde diplomatique (2017)

Weniger wird mehr – Der Postwachstumsatlas. Atlas der Globalisierung (Le Monde Diplomatique) (2015)
Paech, Niko – Befreiung vom Überfluss

Bennholdt-Thomsen, Veronika – Geld oder Leben – Was uns wirklich reich macht

Welzer, Harald – Selbst Denken – Eine Anleitung zum Widerstand

Brunnhuber, Stefan – Die Kunst der Transformation – Wie wir lernen, die Welt zu verändern

Degrowth – Handbuch für eine neue Ära – oekom-Verlag

Habermann, Friederike – ECOMMONY. UmCARE zum Miteinander (2016)

Film:

Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen (2016)

http://www.tomorrow-derfilm.de/

Harald Lesch im November auf dem Grünen-Symposium:
http://www.youtube.com/watch?v=0r39TopOe4I

noch 2 aktuelle links:

http://www.endlich-wachstum.de – für Pädagogen:

„Bildungsmaterialien für eine sozial-ökologische Transformation“

„Eine Welt Stadt Berlin“:
Zukunftsbild: „Die Eine Welt Stadt Berlin setzt das gemeinwohlorientierte Wirtschaften an erste Stelle, das auf Wachstum angelegte Wirtschaften wird abgelöst.“

http://www.eineweltstadt.Berlin/ (irgendwas…)

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN ORTSVERBAND Warburg – Erwin Hartmann

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