David gegen Goliath – Lösung Sammelklagen!

Das Umweltbundesamt bestätigt: Software-Updates sind nicht die Lösung im Dieselskandal. Ohne Hardware-Austausch werden sich Fahrverbote nicht vermeiden lassen. Doch die Bundesregierung und die Konzernchefs sperren sich noch immer. Deshalb brauchen wir Verbraucherinnen und Verbraucher endlich ein kraftvolles juristisches Mittel gegen die ungebremste Arroganz der Autokonzerne.

Katrin Göring-Eckardt

Das Aufatmen in der Autoindustrie dürfte nur von kurzer Dauer sein: Zwar kommt die Branche aller Voraussicht nach beim Diesel-Gipfel um die teuerste Lösung herum und muss keine neue Hardware in ihre alten Dieselautos einbauen, um den Schadstoffausstoß zu senken.

Doch am Horizont zeichnet sich bereits neues Ungemach ab: Weil die Industrie von immer neuen Skandalen erschüttert wird, bröckelt überraschend der Widerstand gegen Sammelklagen in Deutschland. Und das könnte für die Branche noch extrem teuer werden. Das lehrt das Beispiel von Volkswagen in den USA

Mitten im Bundestagwahlkampf hat CSU-Chef Horst Seehofer die Blockade der Union von sogenannten Musterverfahren für Verbraucher aufgegeben. Unerwartet hatte der Ministerpräsident Bayerns erklärt, dass er für sogenannte Sammelklagen offen sei. „Ich bin da nicht abgeneigt“, sagte er dem ZDF.

Bislang hatte zwar Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die Einführung solcher Musterklagen auch für Verbraucher vorgeschlagen, war jedoch am Widerstand der Unionsparteien in der großen Koalition gescheitert.

Weg frei für Musterklagen auch in der Industrie

Zwar streitet die große Koalition nun darüber, wer wann welchen Schritt Richtung mehr Kundenrechten unternommen habe. Aber einig sind sich Union und SPD, dass es künftig eine Art Sammelklagerecht in Deutschland geben soll.

Die Grünen wären auch dafür, die Verbraucherzentrale hatte jüngst die Möglichkeit einer Musterklage auf Bundesebene gefordert, damit mutmaßlich betrogene Kunden gemeinsam vor Gericht ziehen können. Und EU-Verbraucherschutzkommissarin Věra Jourová denkt längst über die Einführung europaweiter Sammelklagen nach.

Damit könnte künftig zum Beispiel die Autoindustrie die volle Wucht der Wut ihrer Kunden treffen. Die müssten ihr vermeintliches Recht nicht mehr einzeln einklagen, sondern ein Fall würde reichen, an dem die Richter die Ansprüche ähnlich Geschädigter ableiten könnten.

Damit wäre der Kunde auf einmal eine Macht – auf Augenhöhe mit den Autobauern. Denn bislang gibt es solche Musterverfahren in Deutschland ausschließlich für Fälle, in denen Kapitalanleger Schadenersatz fordern, Verbraucher wie zum Beispiel Autobesitzer, die sich geprellt fühlen, sind ausgeschlossen.

Bei Aktionären sind Musterverfahren möglich

Der Abgasbetrug bei VW zeigt die Ungleichbehandlung besonders deutlich: Während es im Fall der Investoren, die insgesamt mehr als acht Milliarden Euro vom Wolfsburger Konzern als Schadenersatz für ihre Kursverluste durch Dieselgate fordern, bereits einige wenige Musterverfahren gibt, müssen die Besitzer von manipulierten Fahrzeugen alle einzeln ihr Recht einklagen.

Das führt zu Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden Verfahren überall im Land. Das Prinzip für die Anleger ist einfach: Alle Verfahren von Klägern, die sich geschädigt fühlen, weil VW nicht früher über den Dieselbetrug informiert hat, werden so lange ausgesetzt, bis das Gericht die Grundsatzfragen, die für alle Kläger wichtig sind, beantwortet hat.

Wenn das Gericht in diesem Musterverfahren feststellt, dass der VW-Vorstand den Kapitalmarkt tatsächlich früher hätte informieren müssen, kann später in den einzelnen Verfahren nur noch geklärt werden, ob tatsächlich ein Schaden vorliegt und wie hoch er ist. Das minimiert für die Anleger auch das Kostenrisiko, weil nicht jeder Kläger einzeln teure Gutachten vorlegen muss.

In den USA kann man sehen, wie wirkungsvoll Sammelklagen sind

Doch etwas Vergleichbares gibt es für Verbraucher nicht. Sammelklagen, wie sie das amerikanische Rechtssystem vorsieht, kennt das deutsche Gesetz nicht. So muss jeder Autobesitzer, der sich geschädigt fühlt, einzeln kämpfen. Zwar gibt es Gesellschaften wie myright.de, die Prozesse vorfinanzieren und nur im Erfolgsfall eine – relativ hohe – Beteiligung an der erstrittenen Entschädigung fordern.

Doch ein echtes Musterverfahren können auch diese Anbieter nicht durchsetzen. Weil die Gerichte in Deutschland durchaus unterschiedlich urteilen, kann es passieren, dass trotz sehr ähnlich gelagerter Fälle ein Autobesitzer Schadenersatz erhält und ein anderer nicht. Ein höchstrichterliches Urteil zur Frage, ob den Haltern von manipulierten Fahrzeugen Schadenersatz zusteht, gibt es aber noch nicht.

Wie effektiv das Sammelklagerecht aus Sicht der Verbraucher wirkt, konnte man im Fall VW in den USA beobachten. Die dortige Sammelklage ist bereits mit einem Vergleich beigelegt worden, der VW bis zu zehn Milliarden Dollar kostet und den betroffenen Autobesitzern neben dem Rückkaufwert ihres Fahrzeugs noch eine Entschädigung von bis zu 10.000 Dollar einbringt.

Quelle: Die Welt – Autobauern drohen auch in Deutschland Sammelklagen – Von Nikolaus DollPhilipp Vetter

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