Nach den Terroranschlägen von Ansbach und Würzburg sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016: »Wir dürfen uns die Art, wie wir leben, nicht kaputtmachen lassen.«
Genau das geschieht aber gerade. Die Bundesländer wetzen ihre Polizeigesetze. Angepriesen werden die Eingriffe in unsere Grundrechte als Terrorbekämpfung. Tatsächlich aber steht in den Entwürfen, dass die Weiterungen nicht nur für terroristische Gefährder gelten.
Man mag einwenden, dass alles, was der Verbrechensbekämpfung dient, gut ist. Das Problem ist nur: Die neuen Gesetze, wie auch das für NRW, erlauben der Polizei schwere Grundrechtseingriffe in einem Stadium, in dem noch kein Verbrechen passiert ist.
Der Satz, dass jeder als unschuldig gilt, solange er nicht verurteilt ist, droht zu einem Lippenbekenntnis des Rechtsstaats zu verkommen. Wenn die CDU mit der FDP, die sich gerne als Bürgerrechtspartei bezeichnet, ihr Vorhaben im nordrhein-westfälischen Landtag durchsetzt, darf die Polizei Menschen verbieten, die Stadt zu verlassen. Sie darf den Kontakt von Menschen untereinander unterbinden, sie kann das Tragen von Fußfesseln veranlassen und Menschen bis zu vier Wochen einsperren.
Das alles zwar nur mit Zustimmung eines Amtsrichters, doch dieser Richtervorbehalt hat sich schon oft als Feigenblatt erwiesen. Die Justiz ist so überlastet, dass nicht jeder Ermittlungsrichter in Aktenbände eintauchen kann, um zu klären, ob der Antrag der Polizei wirklich begründet ist – zumal der Begriff der »drohenden Gefahr«, den NRW mit seinem neuen Polizeigesetz einführt, sehr viel Interpretationsspielraum lässt.
Den Feldzug der Länder gegen die Grundrechte führt Bayern an, das Polizisten sogar die Onlinedurchsuchung von Computern erlaubt. Soweit geht NRW nicht, aber das macht die Düsseldorfer Pläne nicht viel besser.
Anfang Mai erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), die Zahl der in Deutschland bekanntgewordenen Straftaten sei mit 5,76 Millionen die niedrigste seit 1992. Und die Gefahr, Opfer einer Straftat zu werden, sei so gering wie seit 30 Jahren nicht. Warum also jetzt der Schwenk in Richtung Überwachungsstaat? Selbst Sicherheitsexperten geben zu, dass keine der geplanten Verschärfungen den Terroristen Anis Amri zwingend von seiner Tat in Berlin abgehalten hätte.
33 Menschen tötete die Rote Armee Fraktion bis 1993. Und beim bisher schlimmsten Terroranschlag in Deutschland brachte 1980 ein Neonazi auf dem Oktoberfest zwölf Menschen um und verletzte 211. Diese und andere Krisen hat die Bundesrepublik überstanden, ohne die Polizeigesetze so zu verschärfen, wie es die Länder jetzt tun. Ein Jahr vor dem 70. Geburtstag der Republik ist das kein gutes Zeichen.
Ein Kommentar von Christian Althoff
Was erlaubt der Gesetzesentwurf von CDU und FDP der nordrhein-westfälischen Polizei?
Gewahrsam
Noch nie durfte die Polizei in NRW jemanden ohne einen Haftgrund länger als bis zum Ablauf des folgenden Tages festhalten, also im Extremfall 48 Stunden. Jetzt ist mit richterlicher Genehmigung geplant:
Die Polizei darf jemanden ohne Haftbefehl einen Monat einsperren, um eine Aufenthaltsanordnung oder ein Kontaktverbot durchzusetzen, außerdem, wenn er eine Gefahr für sich darstellt oder um eine »unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern«. In letzterem Fall ist eine drohende terroristische Gefahr gemeint. Die liegt laut Gesetzesentwurf aber auch dann schon vor, wenn »ein Organ der Meinungsäußerung durch Drohung mit Gewalt genötigt« wird.
Sie darf jemanden bis zu zehn Tage einsperren, um eine Wohnungsverweisung oder ein Rückkehrverbot durchzusetzen.
Sie darf jemanden sieben Tage einsperren, wenn er seine Identität nicht preisgibt, um einen Platzverweis durchzusetzen, wenn Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person besteht, oder beim Verdacht gewerbs- oder bandenmäßiger Straftaten.
Abhören
Bisher durften Polizisten mit richterlicher Erlaubnis Telefone abhören, um Taten aufzuklären. Das neue Gesetz erlaubt ihnen im Fall der Terrorabwehr das Abhören auch ohne Kenntnis einer konkreten Straftat, also präventiv. Außerdem bekommt die Polizei die Erlaubnis, Trojaner auf Smartphones und PCs zu schicken, um die Kommunikation zu verfolgen, bevor sie im Gerät verschlüsselt wird. So können Chats wie WhatsApp mitgelesen werden.
Kontrolle ohne Verdacht
Polizisten dürfen dem Gesetzentwurf zufolge Autos und Personen ohne einen Verdacht kontrollieren.
Fußfessel
Die Polizei kann Menschen, die noch nicht verurteilt sind, zum Tragen elektronischer Fußfesseln verpflichten und ihre Bewegungsdaten speichern. Dieses gilt nicht nur für mögliche terroristische Gefährder, sondern auch beim Verdacht von Sexualtaten, häuslicher Gewalt und Stalking.
Videoüberwachung
Die Videoüberwachung soll ausgeweitet werden. Bisher war sie an öffentlichen Orten erlaubt, an denen Straftaten passierten und weitere Taten erwartet wurden. Nun wird sie zusätzlich an öffentlichen Orten erlaubt, bei denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort »Straftaten von erheblicher Bedeutung« verabredet oder vorbereitet werden.
Aufenthaltsbeschränkung
Sieht die Polizei die Gefahr einer Straftat »von erheblicher Bedeutung«, kann sie jemandem untersagen, seinen Wohnort zu verlassen. Außerdem darf sie jemandem verbieten, mit bestimmten Personen Kontakt aufzunehmen.
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