Nationalpark Kellerwald-Edersee als Vorbild

Nicht gewollt, aber dennoch ein Erfolgsmodell: Der Nationalpark Kellerwald-Edersee kann als Vorbild für den Nationalpark Egge dienen. Eine Delegation aus den Kreisen Höxter, Paderborn und Hochsauerlandkreis informierte sich jetzt über die Entstehungsgeschichte, die von Widerständen geprägt war, und die aktuelle Wahrnehmung des 2004 gegründeten Nationalparks Kellerwald-Edersee. „Das war ungemein informativ und wegen der Offenheit der Referenten auch bei kritischen Fragen eine wichtige Veranstaltung zur Meinungsbildung“, resümiert  Doris Hauck, Sprecherin der Warburger Bündnisgrünen.  Das Bürgerbegehren „Ja! zu unserem Nationalpark Egge“ hatte zu der Informationsfahrt eingeladen.

1991 stellte der Verein Pro Nationalpark-Kellerwald e. V. ein Konzept für einen Nationalpark im Bereich des Waldschutzgebietes und mit einem Teilbereich im südlichen Kellerwald vor. Nach langjährigen schwierigen Diskussionen wurde der Nationalpark Kellerwald-Edersee am 1. Januar 2004 gegründet und am 25. Mai 2004 offiziell eröffnet. Dies geschah erst nach mehrjähriger Forderung durch Umweltgruppen wie NABU, BUND, WWF und Greenpeace.

Im möglichen Nationalpark Egge wie dort am Edersee sei Hartnäckigkeit vonnöten, erklärt Manuel Schweiger,  Leiter des Nationalparks Kellerwald-Edersee. Diese Hartnäckigkeit zeichnete auch Norbert Panek aus. Der mittlerweile verstorbene Umweltschützer setzte sich nachdrücklich für den  Naturschutz in der Kellerwaldregion ein und gründete auch den Kellerwaldverein. Mit visionärer Kraft habe Norbert Panek die Nationalpark-Idee vertreten: Einen Nationalpark als Teil eines UNESCO-Welterbes, der eingebettet ist in weitere Schutzvorkehrungen für die heimische Natur- und Kulturlandschaft mit Naturschutzgroßprojekt, Arche-Region. Der Kellerwaldverein wirkte als regionale Entwicklungsgruppe in Hessen mit. Das Behüten der Naturschätze war die eine Seite, die Entwicklung eines sanften Tourismus als eines der wichtigsten Wirtschafts-Standbeine der Region spielte ebenfalls eine Rolle, erklärte Claus Günther, Geschäftsführer der Edersee-Marketing-Gesellschaft.

  „Der zentrale Zweck eines Nationalparks ist der Schutz der Natur. Unser Nationalpark ist von nationalem Interesse und internationaler Bedeutung. Er ist ein wichtiger Teil des europaweiten Netzes aus schutzwürdigen Buchenwäldern, die sogar mit dem UNESCO-Welterbe-Status geadelt sind“, betont Manuel Schweiger. Diesen Wert stellte er anschaulich dar, unter anderem anhand des Vorkommens zahlreicher teils extrem seltener Tier- und Pflanzenarten. Der Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer ist die herausragende Kellerwald-typische Rarität und zählt zu den Urwaldreliktarten. Wegen seiner engen Bindung an diesen Lebensraum gilt er als Leitart für Buchen-Urwälder mit natürlicher Dynamik. „Wir haben hier mittlerweile 34 so genannte Urwald-Reliktarten bei den Käfern entdeckt, die den ökologischen Wert des Projekts unterstreichen“, so Schweiger, der noch weitere unentdeckte Schätze in den Nationalpark-Bereichen vermutet, wo das Totholz in verschiedenen Stadien modert.

Zunächst war im Kellerwald ein Naturpark entstanden, der als Naturpark deluxe weiter entwickelt werden sollte. Als aber wichtige politische Akteure erkannten, dass mit einem Nationalpark mehr Fördermittel generiert werden konnten, schwenkten sie um und installierten den Nationalpark. „Wir arbeiten mit dem Naturpark partnerschaftlich hervorragend zusammen“, betont Schweiger. Große Unterstützung von vielen Seiten gab es dann, als der Nationalpark unter Einbeziehung der hiesigen Bevölkerung und Interessengruppen einvernehmlich um die Edersee-Nordhänge erweitert worden ist. Stolz ist Schweiger auf die uralten Buchenbestände, die ihresgleichen suchen. Vom Mittelmeer breitete sich die Rotbuche einst fast über den gesamten europäischen Kontinent aus, bedeckte zwei Drittel der Landflächen und dominierte wie kein anderer Baum auf der Welt das Erscheinungsbild einer ganzen Waldlandschaft. „Buchonia“ nannten die Römer deshalb auch das Gebiet jenseits des Limes, in rund 1500 deutschen Ortsnamen steckt bis heute das Wort Buche. Die UNESCO hat die letzten alten Buchenwälder in Europa deshalb zum Welterbe erklärt. Das begann 2007 mit den Karpaten in der Slowakei und in der Ukraine. Vier Jahre später kamen fünf alte Buchenwälder in Deutschland dazu, darunter den Kellerwald am Edersee. Stolz zeigt Schweiger Bilder von markanten Bäumen inmitten steiler Felsen. Neben uralten Eichen stehen hier auch alte Buchen. Die Buchen sehen nicht aus wie Buchen. „Fagus sylvatica“, wie die Rotbuche mit ihrem lateinischem Namen heißt, wächst hier nicht mit einem glatten Stamm, sondern gebückt und knorrig. Die Bäume in dem ehemals fürstlichen Jagdgebiet sind mit ihren rund 400 Jahren eine absolute Rarität in deutschen Wäldern und haben überlebt, weil die Stellen nie bewirtschaftet wurden. Urwaldrelikte halt, die auch für Schwarzspechte eine willkommene Wohnstätte bilden.

Interessante Einblicke: Hermann Ludwig (v. l.), Doris Hauck und Alfred Berge informierten sich aus erster Hand über die Entwicklung des Nationalparks Kellerwald-Edersee.

„Ein Nationalpark ist ein hervorragendes Instrument zur Stärkung einer ganzen Region. Ökonomisch ebenso wie in Bezug auf ihren Selbstwert“, ergänzt Marketingfachmann Claus Günther. Was für den Nationalpark Bayerischer Wald sehr detailliert belegt und analysiert ist, gelte für Nationalparke allgemein: „Sie sind deutschlandweit regionalökonomische Erfolgsgeschichten“, erklärt Günther. Das könne er auch für den Kreis Waldeck-Frankenberg beobachten. In den  sechs Kommunen, die am Nationalpark liegen, werden 2,2 Millionen Übernachtungen gezählt, so Günther, der die Wertschöpfung auf 570 Mio. Euro beziffert. Angestrebt werden jetzt mehr Übernachtungen mit weniger Gästen.

Von den steigenden Gäste- und Übernachtungszahlen profitieren neben den Tourismusbetrieben in ähnlicher Weise Handwerk und Einzelhandel. Dabei reiche die Strahlkraft weit in die Region hinein: auch die Region Kassel werbe mit dem Nationalpark. Der Naturtourismus sei ein starker andauernder Trend. „Und schließlich ist ein weiteres Plus für die hier lebenden Menschen, dass die touristische Infrastruktur mit Landesmitteln ausgebaut wird.“, berichtet Günther.  Das betreffe nicht nur Reit-, Rad- und Wanderwege. Auch die Bahnlinie Marburg-Brilon sei aufgrund des Nationalparks Kellerwald reaktiviert worden, insgesamt sei das ÖPNV-Angebot verbessert worden. Auch die Zusammenarbeit mit der Bahn spiele eine Rolle. Unter dem Motto „Fahrtziel Natur“, sei die Region wie auch andere Nationalpark als Urlaubsziel für Bahnreisende verankert, vor Ort reisen die Naturfreunde mit der Gästekarte umsonst. 

Bei der  Führung durch den Nationalpark erklärte Ranger Markus Daume, dass ein solches Großschutzgebiet eine enorme Chance sei, von der Natur zu lernen. „Man muss sich trauen, nichts zu machen. Wir können uns hier ein großes Experiment leisten, nämlich, wie die Natur es schafft, mit der Herausforderung des sich dramatisch ändernden Klimas fertig zu werden. Dieses Lernfeld der Natur, das wir bieten, hat einen enormen Wert für die Forstwirtschaft und ihre Zukunft“, verdeutlichte der Ranger. Erstaunt würden viele Forstleute bei Exkursionen sehen, wie sich die Naturverjüngung darstellt. Den Borkenkäfer hat er dabei als fleißigen Helfer bei der Waldgestaltung identifiziert. „Auch im Nationalpark wird in Teilen gejagt“, erklärt der Ranger auf dezidierte Nachfrage. „Das ist keine Jagd im herkömmlichen Sinn, sondern ein Wildtiermanagement, um die Schäden für land- und forstwirtschaftliche Flächen um den Nationalpark zu minimieren.“ Es fehlen halt die natürlichen Beutejäger wie Wolf und Bär, um die sehr hohen aus der jagdlichen Vergangenheit resultierenden hohen Rotwildbestände zu dezimieren.

 Daran knüpfte Matthias Eckel an, der sowohl die Perspektive der Landwirtschaft als auch der Jägerschaft kennt. Der Geschäftsführer des Kreisbauernverbands Frankenberg, selbst passionierter Jäger, wies darauf hin, dass es von zentraler Bedeutung sei, miteinander zu reden. So könnten Lösungen etwa zwischen Jägern und Landwirten und der Nationalparkverwaltung gefunden werden. „Im Kellerwald haben wir ein gutes Miteinander entwickelt. Wir treffen uns zwei Mal im Jahr“, sagt Eckel. Die Nationalparkverordnung biete ein hohes Maß an Flexibilität. Das sei förderlich für vernünftige Kompromisse.“ Ein Intervalljagd-Konzept und Bewegungsjagden werden in klaren Absprachen Revier übergreifend vereinbart. Im übrigen gelte: „Als Landwirtschaft haben wir keine Probleme mit dem Nationalpark. Der ist auf der anderen Seite, da gibt es eine klare Grenze“, so Eckel. Der Nationalpark Kellerwald-Edersee bedeute keine Einschränkung für die landwirtschaftlichen Betriebe.

Josef Schlüter, der Organisator der Fahrt, bedankte sich für den sehr offenen Austausch und die vielfältigen Einblicke. „Genau das ist ja das Anliegen unseres Bürgerbegehrens: dass die Menschen sich informieren können und anhand der Wirklichkeit eine gute Entscheidungsgrundlage bekommen. Wir sind davon überzeugt, und das hat mir auch der heutige Besuch gezeigt, dass ein Nationalpark Egge eine großartige Bereicherung für unsere Region ist.“ Hermann Ludwig,  Sprecher der Warburger Bündnisgrünen, kündigt an, dass das Bürgerbegehren von ihrer Seite unterstützt  und mit vielen Informationsangeboten über das Pro und Contra eines möglichen Nationalparks offen und respektvoll diskutiert werde.

https://nationalpark-kellerwald-edersee.de/

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